Shrek, Tokio Hotel und der nicht-virtuelle Körper: Notizen zum Projekt l

Seit geraumer Zeit wirbt die Kosmetikfirma „Dove“ mit molligen Models, Hella von Sinnen und Dirk Bach sind dicke Fernsehstars und der Kinofilm „Shrek“ mit dem als hässlich gelabelten Oger als Filmhelden avancierte nichtsdestoweniger – oder vielleicht gerade deshalb – zum Kassenschlager. Die Welt erscheint immer pluralistischer und diese Entwicklung wirft die Frage auf, was überhaupt noch geblieben ist von den Schönheitsnormen, Zwängen und dem vorgeblichen Ideal.
Körpernormen variieren – und dies schon immer – je nach sozialem Kontext. Überdies scheinen sie in der heutigen Zeit immer vielfältiger zu werden, was aber nicht bedeutet, dass hegemoniale Schönheitsnormen keine Wirkmächtigkeit mehr entfalten. Inzwischen ist zwar (fast) alles erlaubt, aber doch nicht frei von Normen und Normierung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Band Tokio Hotel: Der Musikmarkt hat zwar eine Band mit androgynem Frontsänger im Repertoire, allerdings ist diese der „bei der männlichen deutschen Jugend insgesamt meistgehasste Musik-Act“ *1. Kommt das Thema auf Tokio Hotel, schwelgen alle im homophob-sexistischen Konsens: Tokio Hotel sehen aus wie Mädchen und schwul sind sie auch. Entsprechend lautet auch der Refrain der vermutlich bekanntesten TokioHotel-Parodie auf YouTube, welche die interaktive Konstruktion von Geschlecht, Schönheit und sexueller Orientierung prägnant auf den Punkt bringt:
„Wir sind Krüppel und schwul, hässlich und fett, Spermaflecken überall im Bett, Mutter auf Koks, Vater auf Crack. Wir kommen von den Drogen nicht mehr weg. Irgendwann koksen wir zusammen, sowas ist cool, wir sind Krüppel und schwul“.
Da Tokio Hotel geschlechtlich codierten Schönheitsnormen und entsprechendem Verhaltenskodex widersprechen, muss ihnen also zwangsläufig eine Abweichung von der heterosexuellen Ordnung ‚unterstellt’ werden.
In Bezug auf die Versprechung zahlreicher Schönheitsideale im Zeitalter der Kulturindustrie stellt sich zudem die Frage, ob ein pubertierendes Mädchen etwa dies genauso sieht, oder anders gefragt: Ist das ihrem Körper entsprechende Schönheitsideal auch Teil der Produktpalette? Ein Blick in Bravo, Brigitte oder Bild zeigt eher Auswechselbares als Diverses. Schönheitsideale sind auch heute nicht so durchlässig und für alle frei verfügbar, wie es manchen auf den ersten Blick erscheinen mag.

Außerdem ist es fraglich, ob die Erweiterung von Schönheitsidealen wirklich etwas Grundsätzliches verändert (auch wenn eine solche Entwicklung in jedem Fall einen Unterschied macht). Die Problematik in den Worten von Sonja Eismann über Emme, einer der Barbie nachempfundene, aber dicken Puppe:

„Hier stellt sich jedoch bald die Frage, inwieweit ein Schönheitsideal, das ein anderes ersetzt, den Status Quo verbessern kann und will. […] Was ist dann aber mit den kurzbeinigen, flachbrüstigen, langnasigen, dunkelhäutigen, dickbäuchigen Mädchen? Statt Schönheitsideale abzuschaffen, wird durch eine Erfindung wie der Emme-Puppe das Spektrum nur ein wenig erweitert. Das ist aber immerhin auch schon mal was, denn vielleicht ist die Bandbreite irgendwann so weit, dass es keine verbindlichen Normen mehr gibt (and I am the queen of wishful thinking, wie letztens eine Freundin so schön gesagt hat).“
Auch hier zeigen sich die Verschränkungen des Schönheitsideals mit anderen machtvollen Kategorien; so macht es in der Tat einen Unterschied in der Lebensrealität eines Mädchens, ob es „dunkelhäutig“ oder „flachbrüstig“ ist oder eben nicht, Mit diesem Komplex rund um Schönheit, Geschlecht, ‚race’ und Körpernormierung will sich das Projekt (Anti)lookism auseinandersetzen.
Hinter den einzelnen Aktionen mit unterschiedlichen Schwerpunkte stehen meist nicht die Gruppe(n) in der Gesamtheit, da diese in einem loses Netzwerk mit verschiedenen Ansätzen und Positionen organisiert sind. Das Projekt richtete sich bis jetzt ausdrücklich nicht nur an eine ‚linke Szene’ (daher gab es auch möglichst neutral und simpel geschriebene Texte und einen trashigen Polylux-Auftritt) – was aber nicht bedeuten soll, dass es in der Linken keinen Bedarf an der Auseinandersetzung mit dieser Thematik gibt. Dass dicke Polizistinnen nicht aufgrund ihrer Körpermaße kritikwürdig sind (andere Gründe sind oft ähnlich verkürzt), der gute Grund, Nazis nicht zu mögen, nicht ihre vermeintlich „hässlichen Fressen“ sind und Frauen selber entscheiden können, ob sie sich nicht rasieren und keine Tangas tragen oder eben DOCH, müsste auch einigen Linken noch erklärt werden.
Wichtig ist uns, dass wir mit der antiquierten Unterteilung von künstlichen, verfälschten und durch Kosmetika und Schönheitsoperationen vermeintlich ‚patriarchal’ bearbeiteten Körpern und manipulierten Frauen auf der einen Seite und dem ‚schönen’ Naturkörper auf der anderen brechen. Dieser ‚Naturkörper’, der im Zuge der Kritik an Schönheitsnormen in der Vergangenheit oft ein positiver Bezugspunkt war, ist aus vielerlei Gründen ein problematisches Konzept. So geht er unter anderem auch mit einer Naturalisierung von Geschlecht einher. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Performance-Künstlerin Orlan, die ihren Körper als postmodernen Kunstwerk versteht, ihn in Live-Performances chirurgisch verändern lässt und somit sowohl Schönheitsnormen und als auch den ‚Naturkörper’ gelungen parodiert.
Außerdem kritisieren wir soziobiologische Konzepte, die von einer naturbedingt determinierten Vorstellung von schönen Körpern ausgehen; diese werden zum Beispiel von der Attraktivitätsforschung vertreten, die höchst problematische Thesen hervorbringt. Wir gehen davon aus, dass Schönheitsempfinden sozial konstruiert ist und immer in Verbindung zu gesellschaftlich vorherrschenden Normen steht.
Im übrigen soll der Begriff Lookism in keinem Fall dominante Machtachsen wie Sexismus und Rassismus in Frage stellen. Doch lässt es sich mit dem Begriff in diesem Themenfeld gut arbeiten, außerdem ist es verkürzt, Schönheitsnormen nur unter Sexismus fassen zu wollen (da diese eben nicht nur mit Geschlecht, sondern u.a. auch mit ‚race’ verschränkt sind). Desweiteren gibt es eine Verschränkung mit ‚Normkörper versus Körper mit Behinderung’, genauso wie der soziale Status (‚class’) eine Rolle spielt (bspw. Schönheitsops und Markenklamotten kann sich nicht jede_r leisten).
Auch die Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt spielt hierbei eine Rolle (erwähnt sei die aktuelle Debatte über dicke Deutsche), welche wiederum mit dem Gesundheitsdiskurs im kapitalistischen Kontext in Verbindung steht.
Unterschiedliche Lesarten gibt es in punkto Kleidung und ihrer Funktion und Bedeutung: So ist Kleidung zum einen immer auch ein Medium der Kommunikation und dient eine bewussten gesellschaftliche Positionierung. Andererseits ist nicht jede Kleidung für alle frei zugänglich, sie ist oft mit Privilegien verbunden und kann in gesellschaftlichen Zusammenhängen als Ein- oder Ausschlusskriterium fungieren.
Schönheitshandeln (Gestaltung des Aussehens) ist ohnehin als ambivalent zu begreifen. Zwar ist es in jedem Fall normgeleitetes Handeln, jedoch kann eine Nicht-Inszenierung nicht das Ziel sein – überdies: eine Nicht-Inszenierung ist überhaupt nicht möglich! – und Schönheitshandeln ist, wenn auch eingebunden in Normen, eine Möglichkeit des selbstbestimmten Ausdrucks.

Auch wenn Medien in punkto Schönheitsnormen sicherlich eine Rolle spielen, ist unser Ansatz nicht der der Medienkritik. Gesellschaft und Werbung stehen immer in einem Wechselverhältnis zueinander und Werbung richtet sich an den Normen der Gesellschaft aus. Werbung ist somit als Spiegelbild des gesellschaftlichen Normalzustandes zu lesen und nicht ‚besser’ oder ‚schlechter’ als der Rest der Gesellschaft. Erst recht geht es uns nicht um Kritik an Models und sich nach dem Schönheitsideal richtende Frauen als vermeintlich ‚dumme’ Opfer oder gar ‚Verbündete des Patriarchats’. Frauen wird in einer Art Doppelmoral oft nicht zugebilligt, dass sie Karriere machen; und dies gelingt als Frau eben oft besser entlang oder gerade durch die Besetzung weiblicher Klischees. Wenn dagegen Männer innerhalb oder mithilfe männlicher Rollenausübung erfolgreich sind, erscheint dies meist kaum erwähnenswert.
Im Differenzfeminismus war die Analyse von Schönheitsnormen oft eingebunden in eine Kritik an ‚böswillige Firmen’ und obendrein verbunden mit einem Verständnis der ‚Frau’ als passives und naives Opfer der Verhältnisse (dies wiederum passt nur zu gut ins patriarchale Denkmuster). Wir sind uns bewusst, dass sich reaktionärer Antikapitalismus in der Kritik an Schönheitsnormen manifestieren kann und es Anknüpfungspunkte gab und gibt, genauso kann Feminismus völkisch oder Antirassismus platter Kulturrelativismus sein. Doch gibt es viele Zugänge gibt, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen und wir wollen einen Ansatz formulieren, der eben nicht auf Verschwörungstheoriedenken, Differenzfeminismus oder dergleichen basiert. So ist ein Hauptfokus unserer Gruppe die Sichtbarmachung von verschränkten, komplexen Machtstrukturen anhand von Schönheitsnormen. Und es geht uns um die Ermächtigung zum nichtnormativen Körper: also – simpel formuliert – um queerfeministische Pornos, Riots-not-diets(-grrrl)-Kuchenbuffets und ein schönes Leben für alle!
Projekt L (Berlin)

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*1
http://web.archive.org/web/20070828161310/http://wkl.50webs.org/tokiohotel.html (treffende Tokio-Hotel-Hass-Analyse, wenn auch mit einigen schrägen Aussagen)